Studie: 35,8 Millionen gigabitfähig, für 73 Prozent verfügbar
VATM-Präsident Zimmer nimmt Stellung zur aktuellen Marktsituation
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Die Studie, wurde von teltarif.de-Gastautor Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, wissenschaftlicher Beirat der Unternehmensberatung DIALOG CONSULT und Inhaber des Lehrstuhls für TK-Wirtschaft an der Universität Duisburg-Essen in Köln präsentiert.
35,8 Millionen gigabitfähig
Gerpott stellte fest, dass es Mitte 2022 rund 35,8 Millionen gigabitfähige Anschlüsse in Deutschland geben wird. Dazu werden DOCSIS-3.1-Kabelanschlüsse (HFC) und Glasfaseranschlüsse bis zum Haus oder zum Endkunden (FTTB/H) gezählt. Das sind dann 1,8 Millionen mehr Anschlüsse als Ende 2021 und 4,5 Millionen mehr als vor einem Jahr.
Ende Juni 2022 werden demnach schätzungsweise fast drei Viertel der Haushalte mit gigabittauglichen Anschlüssen versorgbar sein.
VATM-Präsident Zimmer nimmt Stellung zur aktuellen Marktsituation
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Was ist verfügbar?
Dabei werden als "verfügbar" die Anschlüsse eingestuft, bei denen das Kabel (Koax-Kabel oder Glasfaser) entweder leicht erreichbar hausbezogen in der Straße liegt oder bereits bis zum Gebäudekeller oder sogar bis in die Wohnung reicht. Das ist unabhängig davon, ob der Netzbetreiber ("Carrier") für diesen Anschluss mit dem Endkunden schon einen Vertrag abgeschlossen hat (das wären verfügbare aktive Anschlüsse) oder noch nicht (das sind verfügbare nicht aktive Anschlüsse).
Fast 90 Prozent dieser Highspeed-Anschlüsse werden von den Wettbewerbern der Telekom, 10 Prozent von der Telekom selbst zur Verfügung gestellt.
Beim Glasfaserausbau wird die 10-Millionen-Marke überschritten. „Von Ende 2021 bis Ende Juni 2022 wird die Zahl der FTTB/H-Anschlüsse um 1,7 Millionen und damit um rund 20 Prozent auf 10,1 Millionen steigen. Der Ausbau der DOCSIS-3.1-Kabelanschlüsse konnte bereits weitgehend abgeschlossen werden“, ergänzt Prof. Gerpott.
Zimmer: "Hohe Dynamik"
„Die Zahlen belegen eine weiterhin sehr hohe Dynamik beim Netzausbau. Die Investoren haben den Glasfaserausbau in Deutschland für sich entdeckt“, freut sich David Zimmer, Präsident des VATM. Die insgesamt mehr als 50 Milliarden Euro, die in den nächsten Jahren in den Infrastrukturausbau fließen sollen, werden zu einem Großteil von den im VATM organisierten Unternehmen investiert. „Ein gutes Signal für die kleineren Kommunen ist die klare Fokussierung auf den ländlichen Raum“, unterstreicht Zimmer.
Gigabit über Breitbandkabel
Die Zahl der verfügbaren Gigabit-Anschlüsse über Breitbandkabel steigt im ersten Halbjahr um 100.000 auf 25,7 Millionen Anschlüsse. Rund 5,9 Millionen der Glasfaseranschlüsse wurden und werden von den Wettbewerbern insgesamt bis Jahresmitte gebaut. Damit entfallen von den verfügbaren FTTB/H-Anschlüssen 60 Prozent auf die Wettbewerber.
Nicht alle Anschlüsse sind aktiviert
3,2 Millionen der insgesamt 10,1 Millionen Glasfaseranschlüsse werden von den Endkunden auch wirklich genutzt. Während die Wettbewerbsunternehmen bei den Glasfaseranschlüssen eine sogenannte "Take-up-Rate" (also Anschlüsse, die verfügbar sind und auch bestellt werden) von knapp 37 Prozent erreichen, liege diese bei der Telekom bei 24 Prozent. Die Telekom wird der Studie zufolge bis Ende Juni schätzungsweise 4,2 Millionen FTTB/H-Anschlüsse gebaut haben.
„Nachdem der Druck durch den Wettbewerb weiter gewachsen ist, setzt die Telekom nun deutlich auf den Bau von FTTB/H“, erklärt Prof. Gerpott dazu.
VATM-Präsident: Bekenntnis zu Open Access
VATM-Präsident Zimmer hat Bedenken: „Dabei muss die Telekom aber fair spielen und nicht auf Überbau oder strategische Mitverlegung setzen, die den Ausbau auf dem Land oft verzögert oder wirtschaftlich ganz unmöglich macht. Wir müssen miteinander und nicht gegeneinander bauen“, mahnt er: „Die ausbauenden Unternehmen des VATM bekennen sich zum Open Access. Nahezu wöchentlich ergeben sich neue Kooperationen zwischen den Mitgliedern des Verbandes. Eine bundesweit ausbauende Telekom muss ihren Teil zum schnellen Netzausbau beitragen und dort die Angebote nutzen, wo die offenen Glasfasernetze ihrer Wettbewerber sind.“
Beim Ausbau hat insbesondere der Glasfaseraufbau im ländlichen Raum zu einer Verbesserung der Versorgungsquote geführt – die Zahl der ausschließlich mit Glasfaser versorgten gigabitfähigen Haushalte ist um ein Fünftel auf 4,8 Millionen angestiegen. Gleichzeitig nimmt der Infrastrukturwettbewerb in dichter besiedelten und HFC-versorgten Gebieten zu.
5,3 Millionen können aussuchen
Die Zahl der Haushalte, die bei gigabitfähigen Anschlüssen zwischen HFC-Netzen und Glas auswählen können, ist auf 5,3 Millionen gewachsen. „Die Nachfrage nach hochbitratigen Anschlüssen wird weiter zunehmen, da immer mehr Anwendungen diese hohen Bandbreiten benötigen“, prognostiziert Gerpott. Bereits knapp 18 Prozent der Haushalte mit gigabitfähigen Anschlüssen nutzen auch einen Tarif mit einer Bandbreite von 1 GBit/s oder mehr. Knapp die Hälfte der Haushalte mit gigabitfähigen Anschlüssen nutzen Bandbreiten oberhalb der mit VDSL-Technologien möglichen 250 MBit/s.
Geschäftskunden entdecken Glasfaser
1,7 Millionen gigabitfähige Anschlüsse werden Mitte 2022 von Geschäftskunden eingesetzt. Im Vergleich zur Nutzungsverteilung über alle Anschlüsse fällt die Bandbreitenintensivere Nutzung auf: 23 Prozent buchen Tarife mit mindestens 1 GBit/s, und zwei Drittel nutzen Bandbreiten oberhalb der VDSL-Bandbreiten. Das über Gigabit-Anschlüsse übertragene Datenvolumen beträgt 24,4 Milliarden GB. Das entspricht etwa der Hälfte des Volumens, das über alle Breitbandanschlüsse übertragen wird. Pro Anschluss und Monat werden 340 GB übertragen.
Zimmer: „Von Ankündigung zur Umsetzung kommen“
Der VATM stellte der Fachpresse auf der ANGO COM die Gigabit-Studie vor.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
VATM Chef Zimmer spricht pro domo: „Alternative Anbieter und Kabelnetzbetreiber treiben seit Jahren den Ausbau der Gigabit-Netze. Das ist eine große Leistung, zumal sie in weiten Teilen ohne Förderung erfolgt und dies dank langfristiger Investitionspläne und einem planbareren Wettbewerbsumfeld viel stärker als vor Jahren – gerade im ländlichen Bereich."
Kritik an Telekom
Die Telekom sei bisher sehr zurückhaltend gewesen und nutze bis heute weitestgehend die Vectoring-Technologie und die alten Kupfernetze, "die eine enorme Rendite abwerfen, ohne hohe Investitionen im deutschen Markt tätigen zu müssen“, zieht VATM-Präsident Zimmer sein Fazit. Aufgrund des massiven Ausbaudrucks der Wettbewerber finde zurzeit aber offenkundig gerade ein Strategiewechsel bei der Telekom statt, um sich auch auf dem Glasfasernetz die Marktdominanz sichern zu können.
Zimmer möchte, dass die Ausbaustrategie in Deutschland ein Miteinander sein soll. Sie dürfe nicht von strategischem Überbau geprägt sein – wie bislang bei Vectoring und nun mit Glasfaser etwa im Wege der "Mitverlegung" (ein zweiter Anbieter legt seine Kabel zu einem ersten Anbieter dazu, der den Graben ausgehoben hat).
Im ländlichen Bereich gefährdet dies aus Sicht des VATM die Investitionen des erstausbauenden Unternehmens. Der Bürgermeister werde am Ende häufig feststellen, dass der Erstausbauer seine Ausbaupläne zurücknehmen müsse und die Telekom nicht selbst ausbauen werde, sondern im nächsten Ort den Überbau ankündige, warnt Zimmer. Das Scheitern der Ziele der Bundesregierung wäre die Folge.
Fairer Zugang gefordert
Auch für die Nachfrager von Glasfaseranschlüssen, die Geschäfts- und Privatkunden bedienen, werde der faire Zugang zu den neuen Netzen so entscheidend sein wie auf der alten Kupfer-Infrastruktur. Die Telekom habe sich von den großen Nachfragern den Glasfaserausbau zu 50 Prozent aus Überrenditen der Kupfer-Teilnehmeranschlussleitung (TAL/letzte Meile) bezahlen lassen, wie ein Gutachten des VATM belege.
Die Politik müsse darauf achten, dass der Ausbau nicht gebremst und der Wettbewerb abgesichert werde. Die Gigabit-Studie wird in Kürze auf der Webseite des VATM zum Download bereitstehen.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
In Köln wurde das hohe Lied des "Open Access" gesungen. Die Idee: Anbieter A baut eine Glasfaser-Leitung und Anbieter B oder C, inklusive der T(elekom), können die Leitung gegen Gebühr nutzen.
Die Praxis: Beim Neubau von Glasfasernetzen möchten die bauenden Unternehmen liebend gerne Unterschriften unter eigene Verträge. Der Redaktion sind Projekte bekannt, welche die Firma Inexio (die vom VATM-Präsidenten Zimmer gegründet wurde) und deren neue Muttergesellschaft Deutsche Glasfaser "eigenwirtschaftlich" ausbauen, wo es aber keinen Open-Access-Nutzer gibt. Es sind aber auch andere Glasfaser-Anbieter sehr "zurückhaltend".
Wer dann genauer nachfragt, hört "Nachfrage nach Open Access gab es leider nicht". Vielleicht sind die Angebote bewusst so unattraktiv formuliert, dass kein anderer Anbieter sich in die teuer vergrabenen Leitungen einmieten will? Der Beweis ist nicht zu erbringen, denn: Die konkreten B2B-Konditionen (was sich die Anbieter gegenseitig berechnen), sind "streng geheim". Die Bundesnetzagentur hält sich weitgehend zurück und reguliert nicht, sonst würde der Ausbau wohl noch länger dauern oder gar nicht mehr stattfinden.
Fakt ist: Viele Bestandskunden der Telekom hätten gerne Glasfaser, schrecken aber vor einem Anbieterwechsel zu völlig unbekannten Unternehmen zurück. Verpatzte Umschalttermine, unsachgemäße Netzausbauten ("es funktioniert nicht") und Chaos beim Ausbau vor Ort schrecken die Kunden weiter ab. Das bedeutet nicht, dass die Telekom es immer richtig macht. Vielleicht liegt es auch an der aktuellen Lage, wo alle schnellere Leitungen möchten, aber gar nichts so schnell das aufgeholt werden kann, was jahrelang verschlafen wurde.
