EU: Vorstoß zum "weltweiten Datenkontinent Nummer eins"
Margrethe Vestager (l.), Vizepräsidentin der EU-Kommission, und Thierry Breton, EU-Binnenmarktkommissar
Bild: picture alliance/Stephanie Lecocq/Pool EPA/AP/dpa
Die EU-Kommission will das Potenzial von Daten heben,
die im Besitz von Unternehmen und öffentlichen Stellen sind oder die
von Bürgern freiwillig zur Verfügung gestellt werden.
Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton und Digitalkommissarin Margrethe
Vestager stellten heute in Brüssel den Entwurf für ein neues
Gesetz zur Datenkontrolle ("Data Governance Act") vor.
Zusammen mit den richtigen Investitionen und Schlüsselinfrastrukturen werde die Verordnung dazu beitragen, "dass Europa zum weltweiten Datenkontinent Nummer eins wird", sagte Breton.
Datenstrom soll über unabhängige Datentreuhänder fließen
Margrethe Vestager (l.), Vizepräsidentin der EU-Kommission, und Thierry Breton, EU-Binnenmarktkommissar
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Die Kommission will mit dem neuen Rechtsrahmen unter anderem
sicherstellen, dass der Datenstrom nicht über US-Konzerne wie Amazon,
Google oder Facebook fließt, sondern über unabhängige
Datentreuhänder. Die sollen ihren Sitz in der EU haben. Außerdem
sollen sie bei dem Datenaustausch lediglich als Vermittler zwischen
den Datenproduzenten und den Datennutzern auftreten, die Daten aber
selbst nicht kommerziell nutzen dürfen.
Vestager sagte, die Kommission wolle der Wirtschaft und den Bürgern die Instrumente an die Hand geben, um die Kontrolle über die Daten zu behalten. "Wir wollen Vertrauen schaffen, dass Daten im Einklang mit den europäischen Werten und Grundrechten behandelt werden."
Mit diesem Konstrukt will die EU beispielsweise Praktiken unterbinden, wie sie unter anderem dem weltgrößten Onlinehändler Amazon vorgeworfen werden. In der EU - aber auch in den USA - wird dem Konzern vorgehalten, er missbrauche seinen privilegierten Zugriff auf die Daten seines Marktplatzes, um eigene Produkte zu entwerfen und diese gegen erfolgreiche Bestseller von kleineren Anbietern ins Rennen zu schicken.
Teilen von wertvollen Datensätzen für gemeinnützige Zwecke in ganz Europa
Die neue Verordnung soll gleichzeitig das Teilen von wertvollen Datensätzen für gemeinnützige Zwecke in ganz Europa erleichtern. So sollen öffentliche Krankenhäuser Daten über ihren Kampf gegen Covid-19 zusammenführen und ermöglichen, dass Patienten freiwillig Daten für die wissenschaftliche Forschung spenden können.
In diese Kategorie fällt beispielsweise die Datenspende-App des deutschen Robert Koch-Instituts (RKI), über die Freiwillige Daten aus Fitness-Trackern und Smart-Watches zur Verfügung stellen, um den Wissenschaftlern die Bekämpfung der Corona-Pandemie zu erleichtern.
Neben einer verbesserten Gesundheitsvorsorge hat die EU-Kommission auch Themen wie den Kampf gegen den Klimawandel oder bessere Mobilitätslösungen als mögliche Einsatzgebiete identifiziert. Behörden sollten dabei nach Möglichkeit exklusive Übereinkünfte mit einzelnen Partnern aus der Privatwirtschaft vermeiden, da dies zu einer eingeschränkten öffentlichen Verfügbarkeit von Daten führen könnte.
Das könnte beispielsweise die Art und Weise verändern, wie öffentliche Einrichtungen wie der Deutsche Wetterdienst (DWD) seine Daten für die Wissenschaft, aber auch private Wetterdienste zur Verfügung stellt.
"Unsere neue Verordnung wird Vertrauen schaffen"
Binnenmarkt-Kommissar Breton sagte, die Kommission definiere "ein wirklich europäisches Konzept für den Datenaustausch". "Unsere neue Verordnung wird Vertrauen schaffen und den Datenfluss über Sektoren und Mitgliedstaaten hinweg erleichtern." Dabei behielten alle, die Daten erzeugen, das Steuer in der Hand. "Angesichts der ständig wachsenden Rolle von Industriedaten in unserer Wirtschaft braucht Europa einen offenen und doch souveränen Binnenmarkt für Daten."
Zuvor hatte Breton Einschätzungen von einigen Juristen widersprochen, der neue "Data Governance Act" verletze internationale Handelsabkommen und Bestimmungen der Welthandelsorganisation (WTO), weil die neuen Strukturen für den Datenaustausch auf die Europäische Union beschränkt sind. "Europäische Daten sollten in Europa gespeichert und verarbeitet werden. Daran ist nichts Protektionistisches", sagte Breton im Vorfeld dem Portal Politico.
Jeder EU-Mitgliedstaat soll kompetente Behörden benennen
Damit Bürger, Unternehmen und öffentliche Einrichtungen dem neuen rechtlichen Rahmen vertrauen können, soll jeder EU-Mitgliedstaat eine oder mehrere "kompetente Behörden" benennen oder schaffen, die sich um die Umsetzung der Verordnung kümmern. "Regeln taugen nur dann etwas, wenn sie auch durchgesetzt werden", sagte Vestager.
In dem "Data Governance Act" ist auch ein neues Expertengremium vorgesehen, dass die Kommission künftig auf Dateninnovationen hinweisen und bei der konkreten Umsetzung von Ideen in die Praxis unterstützen soll. Dieses "European Data Innovation Board" soll aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der EU-Kommission bestehen.
Bitkom-Reaktion zur Datenpolitik der EU
Achim Berg, Präsident des Branchenverbands Bitkom erklärt zum Data Governance Act: "Wir begrüßen sehr, dass die EU mit dem Data Governance Act den Aufbau und Umsetzung der europäischen Datenräume unterstützt. Der Data Governance Act kann die Grundlage für einen sicheren und souveränen Datenaustausch zwischen Unternehmen, Privatpersonen und der öffentlichen Hand bilden. Es ist richtig, dass das neue Rahmenwerk hierfür bisher ungenutzte Daten öffentlicher Einrichtungen in den Fokus stellt. Vor allem Behörden sitzen auf großen Datenschätzen, die bislang kaum eingesetzt werden. Das muss sich ändern, wenn wir in Europa datengetriebene Innovationen z.B. im Bereich Gesundheitsversorgung, Bildung oder auch Verkehrssteuerung und Smart City fördern wollen.
Der Data Governance Act muss die weitverbreiteten Unsicherheiten bei der Nutzung von Daten dringend abbauen. Und er sollte keine zusätzlichen Pflichten zur Datenlokalisierung schaffen, die Datenverarbeitungen und internationale Kooperationen weiter beschränken würden. Es braucht jetzt einen klugen Fahrplan, wie wir künftig mehr Innovationen aus geteilten Daten entwickeln können. Dafür muss sich die EU von dem zu engen Verständnis der Datensparsamkeit lösen und Datenzugänge verbessern. Ziel muss es sein, gemeinsame Regeln für eine Datennutzung und Datensorgfalt zu schaffen und diese mit Leben zu füllen. Die vorgeschlagenen Datentreuhänder können hierfür neue Wege bieten, wenn sie praxistauglich aufgebaut werden können. Zudem müssen die zahlreichen digitalpolitischen Initiativen und Projekte wie GAIA-X oder die Europäische Allianz für Cloud und Daten künftig eng miteinander verzahnt werden.
Der Data Governance Act kann der Schlüssel zu einem datensouveränen Europa sein, das eine funktionierende Balance zwischen dem Einsatz und dem Schutz von Daten schafft. Gerade die Corona-Krise führt uns täglich vor Augen, welch herausragende Bedeutung Daten zum Beispiel für den Gesundheitsschutz und die Eindämmung einer lebensbedrohlichen Pandemie haben können. Dieser Bedeutung von Daten als Grundlage eines funktionierenden und krisenresilienten Gemeinwesens werden wir in Europa bislang nicht gerecht. Der Data Governance Act muss das ändern, um Innovationshemmnisse aufgrund bisheriger Datenschutzregulierungen abzubauen."
Europas Cloud-Initiative Gaia-X stößt auf großes Interesse. Mehr zu dem Thema lesen Sie in einer weiteren News.