Editorial: Integrieren statt Abschalten
2030 laufen die aktuellen Lizenzen für die terrestrische Ausstrahlung
des Fernsehens über den
DVB-T2-Standard aus. Entsprechend
beginnen bereits die Diskussionen, was danach sein wird. Provokant
ist da natürlich, dass Freenet-Chef Christoph Vilanek
2030 als das natürliche Ende von DVB-T2
sieht. Fernsehzuschauer, die nicht rechtzeitig vorher auf andere
Empfangstechnologien (Satellit, Kabel, Streaming) umsteigen, hätten
dann keinen Empfang mehr. Die bisher noch für den Rundfunk verwendeten
Frequenzen gingen hingegen an die Mobilfunk-Netzbetreiber, die sich
darüber sehr freuen würden.
DVB-T2 und 5G Broadcast über die gleichen Masten?
Foto: Telekom, Montage: teltarif.de
Klar ist: Das derzeitige DVB-T2 wird 2030 technisch veraltet sein.
Zeitgemäße Programme werden bis dahin in 4K, vereinzelt sogar in 8K,
ausgestrahlt und nicht in HD oder gar SD wie derzeit über DVB-T2.
Und zur Kodierung wird dann in der Regel nicht mehr
HEVC ("High Efficient Video Coding") / H.265, sondern dessen
jüngst standardisierter Nachfolger
VVC ("Versatile Video Coding") / H.266 oder gar ein noch weiterentwickelter
Standard Anwendung finden.
Doch auch sendetechnisch wird sich bei DVB-T3 einiges ändern müssen. Eines der größten Probleme ist der fehlende Rückkanal, durch den DVB-T2-Sender nichts über den Bedarf und die Empfangssituation der jeweiligen Empfänger wissen. Sie senden somit dumm alle Programme in gleicher Stärke aus - auch dann, wenn auf einem bestimmten Kanal aktuell gerade niemand zuschaut. Und sie senden immer mit voller Leistung, auch dann, wenn diese aktuell gerade gar nicht benötigt wird, weil alle Empfänger eine gute Empfangssituation haben.
Spiel's nochmal, Sam
Eines der wichtigsten Features, die der Rückkanal ermöglicht, ist Fast Retransmission: Wenn ein einzelner Empfänger einen einzelnen Frame wegen einer Störung nicht richtig empfangen hat, kann er diesen schnell nochmal anfordern. Dabei kann der Empfänger auch wählen, ob er den ganzen Frame oder nur bestimmte Teile davon nochmal anfordert, oder sich in dem Fall, dass er den Inhalt bereits "fast richtig" verstanden hat, sogar auf ein paar zusätzliche Fehlerkorrekturbits beschränken.
Gerade mit verbesserter Videokompression wird der fehlerfreie Empfang aller Frames auch immer wichtiger. Denn je besser die Kompression, desto mehr Pixel werden durch ein falsches Bit verunstaltet. Zwar gibt es auch hybride Sendeverfahren, bei denen ein SD-Signal mit hoher Fehlerabsicherung und ein dazu differenzielles HD- oder 4K-Signal mit niedrigerer Fehlerabsicherung gesendet wird. Doch auch das kann zu merkwürdigen Artefakten führen, wenn Bitfehler im Differenzsignal nicht erkannt werden.
Klar benötigen auch Fast Retransmits zusätzliche Bandbreite. Aber die Alternativen beim dummen Broadcast, nämlich entweder die Erhöhung der Sendeleistung, die generelle Erhöhung der Zahl der Fehlerkorrekturbits für alle Frames oder das vorgenannte hybride Sendeverfahren, benötigen ebenfalls Bandbreite. Im Falle der höheren Sendeleistung entsteht der Bandbreitenbedarf übrigens durch den nötigen Schutzabstand zwischen DVB-T-Sendergruppen mit verschiedenen Programmen. Dadurch kann in jeder Region jeweils nur ein kleiner Teil der Bänder mit aktiven DVB-T-Sendern belegt werden kann.
Das Problem der hohen Senderabstände gibt es seit dem analogen TV. Es ist bei DVB-T und DVB-T2 reduziert, aber mitnichten behoben. Ein rückkanalfähiges DVB-T3, das die Sendeleistung auf das absolut nötige Minimum reduziert und das bei gelegentlichen Störungen zwischen direkt benachbarten Sendern die betroffenen Pakete sofort wiederholt, könnte hingegen in jeder Region alle Frequenzen nutzen, also das Vielfache an Programmen ausstrahlen!
Je mehr Sender, desto besser
Denkt man das genannte Konzept weiter, insbesondere unter
Einbeziehung der anfangs genannten Konzepte, nur die Programme
auszustrahlen, die in der jeweiligen Region gerade benötigt werden,
kommt man recht schnell zum Schluss, dass das ideale DVB-T-Sendernetz
der Zukunft nicht nur rückkanalfähig ist, sondern viele kleine statt
weniger großer Sender hat. So kann die Sendeleistung viel besser auf
den lokalen Bedarf angepasst werden.
Fernsehen wird via DVB-T2 im Frequenzbereich zwischen 470 und 694 MHz übertragen. Angesichts der Forderungen des Mobilfunks stellt sich allerdings die Frage, wie lange noch.
WDR/Ludolf Dahmen
Wenn man dann viele kleine lokale Sender benötigt, kann man sie
natürlich auch genau dort platzieren, wo es bereits Sender gibt, also
auf den Mobilfunkmasten der Netzbetreiber. Und wenn man dann eh mit
den Netzbetreibern kooperiert, dann kann man auch deren ganzen
weiteren sendetechnischen Errungenschaften nutzen: MIMO, also
mehrere Signale auf derselben Frequenz durch mehrere Antennen beim
Sender und beim Empfänger, sowie Beam Forming, mit dem die Energie
vor allem dorthin gerichtet wird, wo sie auch benötigt wird.
Addiert man das alles zusammen, wird klar: DVB-T3 mit 4K in der Souterrain-Wohnung ist technologisch durchaus machbar. Wahrscheinlich könnte man es (aus Sicht der Rundfunkbetreiber) sogar kostenlos haben, wenn man den Aufbau und Betrieb des Netzes den Mobilfunk-Netzbetreibern überlässt und man ihnen erlaubt, all die Bits, die man durch das dichte Sendernetzwerk spart, für eigene Zwecke zu verwenden. Immerhin stehen über 200 MHz Bandbreite bei attraktiven niedrigen Frequenzen von 470 bis 694 MHz zur Verfügung. Und nein, bitte teilt die nicht wieder in viele kleine FDD-Happen mit Duplex-Lücken dazwischen, sondern macht daraus ein breites TDD-Band!
Pflichtenheft für 6G
Grundsätzlich gibt es mit 5G Broadcast bereits ein geeignetes System für die genannten Anforderungen. Es wird aber derzeit eher getrennt und ergänzend zu den Mobilfunknetzen gedacht statt als Teil derselben. Besser jedoch, man integriert alle Netze. Damit das passiert, muss man von staatlicher Seite, am besten zentral durch die EU, in den kommenden Jahren Einfluss auf das Pflichtenheft für 6G nehmen.
Zwei Punkte sind dabei besonders wichtig:
- Der erste, dass ein Broadcast-Modus nicht nur optionaler, sondern verpflichtender Teil des 6G-Standards werden muss.
- Und der zweite, dass es kostengünstige "receive-mostly"-Endgeräte geben muss, die 25 MBit/s (oder mehr) im Downstream schaffen, für die aber 0,2 MBit/s im Upstream reichen. Diese Broadcast-Empfänger brauchen auch keinen komplizierten Fallback auf technologisch komplett anders implementierte Mobilfunkstandards wie 2G oder 3G, und sie müssen auch nicht alle Frequenzbereiche unterstützen.
Von Broadcast und Multicast könnten übrigens auch die Mobilfunknetze profitieren, nämlich immer dann, wenn wieder mal 50 Millionen Updates vom Chrome-Browser ausgeliefert werden oder Facebook und Twitter ihre Timeline aktualisieren. Dann kann man nämlich die wichtigsten Inhalte auch im Hintergrund über Broadcast verteilen, statt sie als Unicast auf jedes Smartphone einzeln hochzuladen. Auch die neuesten Youtube-Hits könnten zentral auf die Smartphones gestreamt werden, bevor die Nutzer klicken. Davon hätten sowohl die Netzbetreiber als auch die Nutzer etwas: Die Netzbetreiber sparen durch den Broadcast Datenvolumen, und bei den Nutzern läuft das bereits verteilte Video sofort nach dem Klick ruckelfrei los - sogar im Funkloch.
Derzeit bevorzugen die Netze natürlich noch Unicast, weil sie das zugehörige Datenvolumen einfacher abrechnen können. Aber der Trend geht auch im Mobilfunk zu unlimitierten Flatrates. Sobald ausreichend viele Nutzer diese haben, ist der Offpeak-Broadcast für die Netzbetreiber auf jeden Fall von Vorteil. Auch dieser Punkt sollte bis 2030 erreicht sein.
