Call by Call: VATM & Telekom einigen sich über Fortbestand
Wird Call-by-Call durch einen privaten Vertrag zwischen Telekom und VATM gerettet, während Brüssel es nicht mehr wichtig findet?
vatm, Foto/Montage: teltarif.de
Seltsames ereignet sich im deutschen Festnetzmarkt, ausgerechnet bei Call by Call, dem seinerzeit vom Regulierer verordneten Angebot, das die Liberalisierung im Festnetzmarkt vor Jahren überhaupt ins Rollen gebracht hat (und auch ein Gründungsargument für teltarif.de war).
Was ist passiert?
Wird Call-by-Call durch einen privaten Vertrag zwischen Telekom und VATM gerettet, während Brüssel es nicht mehr wichtig findet?
vatm, Foto/Montage: teltarif.de
Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat dem Druck aus Brüssel nachgegeben: Trotz der "weiterhin großen Bedeutung von Call by Call und Preselection speziell in Deutschland" soll nach dem Willen der EU-Kommission auf eine Regulierung in diesem Bereich verzichtet werden. Das Ende der entsprechenden Verpflichtung in diesem Bereich sieht zumindest der veröffentlichte Entscheidungsentwurf [Link entfernt]
der BNetzA vor, der aktuell von der Branche kommentiert werden kann.
EU-Kommission: Call by Call spielt keine Rolle mehr
Die EU-Kommission hatte im vergangenen Jahr entschieden, dass Call by Call und Preselection im europäischen Binnenmarkt keine wichtige Rolle mehr spielen und weitgehend in Europa durch Internetkommunikation (sogenannte OTT-Dienste) abgelöst worden sei.
Das sieht der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) anders. „Dabei hat sie die Besonderheiten des deutschen Marktes nicht ausreichend berücksichtigt“, kritisiert dessen Geschäftsführer Jürgen Grützner insbesondere mit Blick auf ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber auch den Mobilfunk-Bereich. Der Verband habe die Zeit genutzt, um auf dem Verhandlungswege mit der Telekom Deutschland eine Lösung zu finden. „Es zeichnet sich ab, dass wir eine belastbare vertragliche Grundlage für den Markt gefunden haben, von der die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin profitieren können“, sagt Grützner.
Damit wäre Wundersames passiert: Obwohl die Deutsche Telekom in ihrer Stellungnahme (Seite 44 des BNetzA-Papiers) klar die Meinung vertritt, dass Call by Call und Preselection aufgrund der sich rückläufig entwickelnden Minutenzahlen kaum noch Wettbewerbsrelevanz hätten, obwohl es scheine, dass Nutzer von Call by Call sehr preissensibel und wechselwillig seien, hat sich die Telekom Deutschland mit dem VATM - wie es aussieht - auf einen Vertrag geeinigt. Kernpunkt: Es wird in Deutschland weiterhin Call by Call geben. Für den VATM ist das eine gute Nachricht.
VATM: Froh dass es weiter Sparvorwahlen geben wird
„Ich bin froh, dass es die Sparvorwahlen weiterhin geben wird, die von mehreren Millionen Menschen in Deutschland genutzt werden“, unterstreicht der VATM-Geschäftsführer. Insgesamt werden im Jahr etwa 5 Milliarden Minuten über Call by Call und Preselection vertelefoniert. Die Sparvorwahlen haben hierzulande seit der Liberalisierung des Markts erheblich zu verbraucherfreundlichen Preisen beigetragen. „Statt den verbraucherfreundlichen deutschen Weg zu unterstützen, hat die EU eigene Vorstellungen durchgedrückt, die statt zu versprochenen Preissenkungen in Wahrheit zu erheblichen Preissteigerungen geführt hätten“, so Grützner.
EU legt viel höhere Preise für Auslandsanrufe fest
Bekanntlich hatte die EU entschieden, dass ab dem 15. Mai 2019 alle Anrufe ins europäische Ausland sowohl im Festnetz als auch mobil nur noch maximal 22 Cent pro Minute kosten dürfen. In Deutschland liegen im Festnetz heute die Verbraucherpreise dank Call by Call auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Anrufe kosten über Sparvorwahlen oft weniger als einen Cent, zum Beispiel ins französische oder polnische Festnetz.
Call by Call: Vorteile zu Mobilfunk und ins Ausland
Bei Gesprächen zum Mobilfunk kann der Kunde an einem Festnetzanschluss der Deutschen Telekom per Call by Call weiterhin bis zu 90 Prozent einsparen. „Bei einem Wegfall von Call by Call wäre aber nicht nur die Sparmöglichkeit für die Bürger entfallen, die diese Vorwahlen nutzen – mangels Wettbewerb dürften auch für viele andere Kunden die Preise in Richtung der von der EU genehmigten 22 Cent anziehen. Den Schaden hätten letztlich alle Kunden in Deutschland gehabt. Das konnten wir nun gemeinsam mit der Telekom und mit der Unterstützung des DVTM verhindern“, zeigt sich VATM-Geschäftsführer Grützner zufrieden.
Call by Call nur für Telekom-Kunden
Zu beachten ist, das Call by Call in Deutschland nur an Festnetzanschlüssen der Deutschen Telekom möglich ist. Ursprünglich war angedacht, dass auch andere Festnetzanbieter Call by Call anbieten können. Deshalb hatte die Deutsche Telekom Kunden anderer Anbieter die Call by Call-Vorwahl 01033 angeboten. Dazu musste der Kunde einen Vertrag mit der Telekom abschließen. Die Möglichkeit wurde jedoch kaum genutzt.
Was ist Preselection?
Preselection ist die feste Voreinstellung eines Call-by-Call-Anbieters. Dabei können andere Tarife gelten, als bei freiem Call by Call. Da sich die Tarife immer wieder ändern, lohnt sich eine feste Preselection heute kaum. Software gesteuerte Telefonanlagen können über "Least-Cost-Routing" aktuelle Tariftabellen einlesen, um den tageszeitgünstigsten Tarif zu erwischen. Dabei wäre Preselection nur hinderlich.
Aktuelle Preise finden Sie in unserem Tarifvergleich. Achten Sie aber beim Verbindungsaufbau unbedingt auf die vorgeschriebene Tarifansage!
Wie kam es zum Sinneswandel?
Derweilen rätseln Experten noch über die Beweggründe, dass die Telekom sich mit dem VATM handelseinig wurde. "Nun", so einige Kenner der Szene, "das könnte verschiedene Ursachen haben." Zum einen, müssen die Call-by-Call-Anbieter der Telekom dafür Geld bezahlen, damit sie den Telefonverkehr über den Call-by-Call-Anbieter leiten können (sogenannter Transit-Interconnect). Zum anderen hätte es bei den Fans von Call by Call vielleicht einen "Shit-Storm" über die "böse Telekom" gegeben, den man vermeiden wollte. Zum anderen hat die Telekom die Call-by-Call-Technik bereits aufgebaut, hat also nur geringe Mehrkosten, um Call by Call weiter anbieten zu können. Kunden, die Call by Call nutzen wollen, müssen Basiskunde bei der Telekom bleiben, was deren Statistik auch gut tut und man auch nicht unterschätzen sollte.
Kunden, die von der Telekom zu einem anderen Anbieter wechseln oder von vorneherein dort unterschrieben haben, können Call by Call nicht nutzen. Auch beim Handy gibt es kein Call by Call, war ursprünglich einmal auch dort geplant.
Gerade bei Anrufen vom Festnetz zu Mobilfunknetzen oder ins Ausland kann man auch heute noch mit Call by Call deutlich sparen. Zwar gibt es teilweise serienmäßig oder wenigstens optional Mobilfunkflatrates (z.B. für Telekom Magenta-Eins-Rabatt-Kunden) und auch Auslandsflatrates (Vorsicht, da können unter Umständen ausländische Mobilfunknetze nicht enthalten sein), die sind aber nicht die Regel.
Die regulären Preise der Telekom-Wettbewerber im Festnetz (Teilnehmeranschluss) liegen oft bei 19 bis 24 Cent pro Minute - teilweise noch höher. Umfragen der Netzagentur in der Branche zeigen, dass das Festnetz bis heute nicht vom Mobilfunk "ersetzt" wurde. Beispielsweise ältere Kunden verwenden ihr Handy bis heute nur in "Ausnahmefällen".