Glasfaser: Nur noch Open Access und weniger Bürokratie
Die am Donnerstag zu Ende gegangene Messe ANGA COM besteht aus zwei Teilen. Zum einen eine Fachausstellung in zwei Hallen, wo Lieferanten von Geräten, Kabeln, Modems, Fasern und Zubehör ihre Produkte vorstellen und hier und da auch ein paar Netzbetreiber wie beispielsweise Vodafone, die mit dem Kauf von Kabel-Deutschland und Unitymedia zum vermutlich größten Koax-Kabelnetzbetreiber in Deutschland aufgestiegen sind.
Zum Andern waren zahlreichen Diskussionsveranstaltungen angesetzt, auf denen wichtige Branchenvertreter miteinander diskutierten und ihre Vorstellungen an den Wettbewerb und an die Politik zum Ausdruck brachten.
"Netze, Dienste, Konnektivität - wie schaffen wir den digitalen Aufbruch?"
Auf dem Podium: Kerstin Stromberg-Mallmann, Srini Gopalan, Thorsten Dirks, Andreas Laukenmann, Timo von Lepel
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Unter der Leitung von "Talking Bridges" Geschäftsführerin Kerstin Stromberg-Mallmann diskutierten Srini Gopalan (Telekom Deutschland), Thorsten Dirks (Deutsche Glasfaser), Andreas Laukenmann (Privatkundenchef Vodafone) und Timo von Lepel (Netcologne).
Srini Gopalan ist seit anderthalb Jahren als Chef der Telekom Deutschland im Amt. Er bestritt in Köln seine erste Podiumsdiskussion durchgehend in deutscher Sprache. Er lernt täglich eine Stunde Deutsch, wie er dem Publikum berichtete. Dabei hat er bereits sein Lieblingswort gefunden: "Genehmigungsverfahren". Den deutschen Markt hat er in Lichtgeschwindigkeit verstanden: "Hier findet ein gesellschaftlicher Aufbruch statt, der digitale Aufbruch ist eine wirtschaftliche Herausforderung". Denn "wir sind ein immer älter werdende Gesellschaft", philosophierte er; die Ungleichheit steige und das notwendige "Wachstum muss umweltfreundlich sein", stellte er klar.
Dabei spiele die Digitalisierung eine wichtige Rolle. Nicht nur in der Produktion.
Vorbild Estland
Im Land Estland beispielsweise seien 99 Prozent der Vorgänge auf Ämtern oder Behörden digital. Man könne dort online wählen oder ein ganzes Haus kaufen, inklusive dem sonst üblichen Papier- und Verwaltungskram. "Was wäre, wenn Deutschland so digital wäre?" Gopalan sieht viele Themenfelder, nicht nur die viel zitierte Industrie 4.0 oder den sogenannten Mittelstand. Es brauche umweltfreundliche Smart Cities, ein Verkehrsmanagement oder ein Müllmanagement beispielsweise. Die TK-Industrie spiele hier eine wichtige Rolle, als Grundvoraussetzung für ein schnelles und zuverlässiges Netz. Es sei eine Herausforderung an die gesamte Branche, gemeinsam Lösungen zu finden.
Dirks: Mehr Digitalisierung
Auch Thorsten Dirks (einst Chef von E-Plus und später von Telefónica/o2) und inzwischen im Führungssessel bei der Deutschen Glasfaser, ist sich sicher, dass umweltfreundliches Wachstum nur über eine Digitalisierung möglich ist. In Deutschland sei man damit spät dran, im Ranking der OECD sei Deutschland nur noch "Flop 5", also keine "Top 5" Position. Investoren hätten das erkannt und insgesamt rund 50 Milliarden Euro bereit gestellt. Die sollten möglichst schnell verbaut werden. Dafür brauche es richtige Rahmenbedingungen der Politik. Die staatliche Förderung sollte viel besser mit dem privaten Ausbau verzahnt werden. Dirks freute sich, dass die Bundesregierung den eigenwirtschaftlichen dem geförderten Ausbau voranstelle.
Vodafone: Vom Koaxkabel zur Glasfaser?
Vodafone Privatkundenvorstand Anreas Laukenmann
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Vodafone hat noch viele Koaxkabel. "Reicht das Koaxkabel oder muss es Glasfaser sein?", fragte die Moderatorin. Da Hannes Ametsreiter kurz vor der Messe seinen Posten aufgegeben hatte, kam Vodafone-Privatkundenchef Andreas Laukenmann aufs Podium. Er berichtete, dass Vodafone über Betreibermodelle in Zusammenarbeit mit den Kommunen (Gemeinden, Städte) neue Glasfasernetze aufbaut. Ganz vom Koaxkabel will er aber nicht lassen, aber die Netze sollen weiter auf- und umgerüstet werden.
Laukenmann hat die Kunden im Blick: "Gigabit soll auch bezahlbar sein. Nicht jeder möchte dafür 80 Euro ausgeben." Selbst wenn die Glasfaser da ist, wird auch HFC (Glasfaser-Koax) weiter eine große Rolle spielen.
von Lepel: Mehr starke regionale Anbieter
Timo von Lepel, Chef von Netcologne, plädierte dafür, dass es viel mehr starke lokale TK-Anbieter, wie beispielsweise in Köln, geben sollte.
"Warum ist Deutschland nicht da, wo es sein sollte?", fragte er und lieferte die Antwort: "Wir haben viel zu lange auf Kupfer und HFC (Koaxkabel-TV-Netze) gesetzt. Wenn man auf einen VW Käfer einfach 'Giga' drauf schreibt, ist das und wird das kein Porsche." von Lepel forderte Vodafone auf, nach vorne zu gehen und aus den HFC-Netzen (hybrides Fiber Coax, eine Mischung von Koax und Glasfaser) echte Glasfaser machen. HFC-Netze seien einfach enorm störanfällig.
von Lepel sieht in der Migration von Kupfer zu Glas viel Potenzial. Er befürchtet aber, dass der eigenwirtschaftliche Ausbau, der nicht von der Telekom gestaltet wird, behindert werden könnte.
"Genehmigungsverfahren"
Srini Gopalans Lieblingswort „Genehmigungsverfahren“ beschreibt die Problematik des zögerlich langsamen Ausbaus. Um bauen zu dürfen, sei viel zu viel Bürokratie notwendig.
Da stimmte ihm Thorsten Dirks sofort zu. Das "Digitalministerium kommt gar nicht nach." Die Bauverfahren müssten viel schneller werden. Mit Trenching könnte man vier Mal mehr Meter als im klassischer Tiefbau machen, nur wolle das der örtliche Bauamtsleiter nicht.
Alle sind für Open Access
Dirks wünscht sich nicht mehr Wettbewerb um die Netze - sondern Wettbewerb auf den Netzen, und zielte damit auf das Thema Open Access ab.
Timo von Lepel will die Penetration, also die Auslastung der Netze im Auge behalten. Es müsse künftig so sein, dass der Unternehmer, der wirklich baut, auch unterstützt und nicht behindert wird.
Der Kunde hat die Wahl
So folgert Srini Gopalan, "brauchen wir weniger Regulierung", der Kunde ist König. Der Kunde muss auswählen können, welche Technologie er will. Die Branche müsse den Ausbau machen und das bewerben. Es solle nicht für alle Probleme eine Regulierung geben. Sondern es solle ein "ehrlichen kommerzielles Open Access Network mit kommerziellem und wirtschaftlichen Wholebuy" geben. Soll heißen, einer baut und lässt die anderen sofort drauf. "Es ist eine Notwendigkeit. Open Access für alle. Wenn eine Firma ausbaut, sollen andere Firmen das nutzen können."
Laukenmann pflichtete Gopalan bei: "Wir können nicht den Kunden zwingen, das Produkt zu nehmen, was 'uns' gefällt." von Lepel möchte „gelebtes Open Access = Öffnen und auslasten".
Und auf dem flachen Land?
Thorsten Dirks erinnerte daran, dass auf dem Land eine deutlich schlechter Versorgung vorherrsche. Seit der Pandemie wollen viele Leute aufs Land ziehen. "Dort ist es völlig unwirtschaftlich, zwei Infrastrukturen zu bauen." Es brauche nicht noch mehr Regulierung, sondern die Industrie müsse zeigen, "dass wir ohne Regulierung Lösungen finden können. Der Kunde entscheide. Der Kunde will Gigabit, die Technik ist ihm egal, Preis muss stimmen."
Gerade auf dem flachen Land kommt es vor, dass in kleinen Orten zwei oder gar drei Unternehmen von Haus zu Haus ziehen und Glasfaser verlegen wollen, wenn genügend Kunden unterschreiben. Wie kann das verhindert werden?
Abstimmung kartellrechtlich schwierig
Gopalan macht darauf aufmerksam: "Es ist kartellrechtlich nicht möglich, die Ausbaugebiete aufzuteilen." Wie kann man also Doppelausbau und Überbau verhindern? Gopalan plädierte ein bisschen für Augenmaß.
Von Lepel sieht das anders: Der Überbau sei nicht zu verhindern. Die Telekom baue ja die neue Glasfaser nicht in ihren eigenen FTTC (Vectoring) Regionen, sondern wildere in fremden FTTC-Gebieten. Der Anspruch, dass die Telekom überall sein müsse, sei noch tief in der Telekom-DNA verankert. "Jetzt gibt es Gebiete, wo die Telekom kein eigenes Netz mehr hat".
Gopalan widersprach: Die Telekom werde etwa 83 Prozent ihrer eigenen Netze selbst überbauen. Aber: "Wenn es wirtschaftlich ist, können wir Open Access auch einkaufen." Es gehe nicht mehr, dass Deutschland aufgeteilt wird, ich baue hier, Du kannst da nicht mehr bauen". Gopalan stellte Kooperationsmodelle vor, beispielsweise mit den Stadtwerken in Münster oder mit willy.tel. Das sei dann nicht mehr „sein“ Netz, aber er stehe für Kooperationen offen, "es muss nur wirtschaftlich sein".
Timo von Lepel verriet, früher einmal für die Telekom gearbeitet zu haben. Aber im Moment kaufe er (also Netcologne) noch mehr bei Telekom ein, als die Telekom bei ihm. Netcologne habe bereits 2006 in Köln viele Probleme gelöst, nun müsse sich Vodafone noch um den Rest kümmern, sprich auf echte Glasfaser umrüsten.
Laukenmann möchte HFC (Koax + Glasfaser) als "Turbo" behalten, aber die Glasfaser näher an den Kunden bringen, damit am Ende nur noch kleine Segmente mit HFC erschlossen werden. Der Vollausbau auf echte Glasfaser würde sonst Jahre dauern.
Mahnung an die Politik
Die Teilnehmer haben sich über den Koalitionsvertrag gefreut, aber die Politik verwehre sich der pragmatischen Umsetzung. Im Genehmigungsverfahren braucht man nur 21 Genehmigungen für eine Straße wohlgemerkt. In Deutschland gebe es 32.000 Kommunen. Als Kardinalfehler erwies sich, dass nie generell Leerrohre verlegt wurden. Die Politik müsse "in die Hufe" kommen. Minister Wissing müsse klare Ansagen gegenüber den Ländern machen.
Gopalan verblüffte das Podium mit der Ansage: "Deutschland hat mehr Glasfaser als andere europäische Länder". In Deutschland sei der Weg vom Glasfaseranschlusspunkt bis zum eigentlichen Haushalt etwa 200-400 Meter entfernt, in anderen Ländern seien es eher 600 Meter. Das Problem sei aber, dass die letzten Meter in Deutschland viel zu teuer seien. Es fehle eine Standardisierung mit einheitlichen Bauverfahren.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Die Diskussion hat deutlich gezeigt, das die Deutsche Telekom längst nicht mehr der "böse Feind" ist, sondern mehr und mehr als Partner im gleichen Boot wahrgenommen wird. Der Kundenwunsch nach einem koordinierten Ausbau in der Fläche, damit es endlich vorwärts geht, kollidiert mit dem Kartellrecht. Eine mögliche Lösung hat das Saarland entwickelt: Dort hat die Landesregierung alle Spieler im Markt eingeladen und ihnen aufgezeigt, wer wo baut und wo noch "weiße Flecken" zu finden sind. Das soll sogar dem Kartellamt gefallen haben. Ein Modell für das ganze Land?
Digital-Minister Wissing muss nun seinen Länderkollegen vermitteln, dass einfacheres und klareres Baurecht (Ländersache) notwendig ist. Und dass man die "mindertiefen" Ausbauverfahren nicht mehr generell verteufeln kann, sondern diese Ausbaumethode irgendwie kompatibel zu tieferliegenden Abwasser, Gas und Elektro-Leitungen werden muss. Beispielsweise durch wesentliche genauere Lagekataster, wo die verlegten Leitungen wirklich liegen. Dort kann die Branche ihr Bekenntnis zur Digitalisierung dann mal richtig auf die Probe stellen.
Die Rohre zu dick, die Ports falsch dokumentiert oder unklare Brandschutzvorschriften: Dem Techniker wird heutzutage im Glasfaserausbau viel abverlangt. Auf der ANGA COM kamen die alltäglichen Probleme beim Verlegen von Glasfaser auf den Tisch.
